Warum SXTN ihrer Zeit voraus waren

Schaumparty, (halb)nackte Frauen, Waffen und Weed. Dazu sexistische Texte über B*tches und Mütterf*cken.

"Komm und küss meine Füße und bring mir einen Drink, B*tch /

Weil du nichts bist, also f*ck dich"

Ein ganz normaler Track und ein ganz normales Musikvideo halt.

Fast. Diese Lyrics kamen nämlich nicht von einem Mann, sondern von zwei Frauen.

Es war das Jahr 2015, als zwei junge Damen namens Juju und Nura als Rap-Duo SXTN (jetzt auf Apple Music streamen) begannen, ohne Schwanz Mütter zu f*cken und damit das Weltbild vieler Rapfans ins Wanken zu bringen. Im Video zu "Deine Mutter" traten sie eine Haustür ein. Im echten Leben traten sie hingegen Türen für Frauen in der von Männern dominierten Szene ein. Männer, die Mütter f*cken, über Sex rappen, Frauen zum Objekt machen oder degradierende Begriffe wie F*tze benutzen, gab es im Rap nämlich schon lange. Frauen, hingegen, mussten sich ihren Platz im Game erst hart erkämpfen.

Vor kurzem jährte sich SXTNs erstes und letztes Album "Leben am Limit" zum vierten Mal. Für viele Menschen, vor allem Frauen, spielte die Musik des Rap-Duos eine sehr wichtige Rolle im Umgang mit Frauen in der deutschen Rapszene. Hier erfahrt ihr, warum.

Asozialisierungsprogramm: Gesellschaftskritik muss nicht akademisch sein

2016: SXTNs EP "Asozialisierungsprogramm" erblickt am 16. April das Licht der Welt und schlägt schnell große Wellen. Juju und Nura polarisieren gewollt durch ihre Texte. Der Grund dafür: Sie machen genau das, was Männer machen.

Das scheint ungewohnt zu sein. Eigentlich begegnet man Texten, in denen Männer die Frauen als F*tzen bezeichnen. Wie soll man reagieren, wenn Frauen das auf einmal selbst tun? In einem Interview mit dem Berliner [030] Magazin aus dem Jahr 2017 erklärt Juju, wieso sie es für logisch hält, sich solche Begriffe selbst anzueignen:

"Es ist ein Selbstschutz, würde ich sagen. Es würde sowieso jeder in die Kommentare schreiben. Wenn man es selbst macht, juckt das nicht mehr."

Und so lösen sie einerseits Begeisterung aus. Nura macht sich in "Ich bin Schwarz" über Klischees über Schwarze Menschen lustig, Juju erzählt in "Kein Geld" von Struggles mit Armut und in "F*tzen im Club" feiern die beiden einfach nur und haben Spaß mit ihren Freundinnen. Andererseits lösen sie aber auch Empörung aus, da sie sich in den meisten Songs eben an jenem Vokabular bedienen, was sonst dazu verwendet wird, um sie zu entwürdigen.

Der Spiegel veröffentlichte 2020 sogar einen Artikel zu einer selbst durchgeführten Datenanalyse von Sexismus im Deutschrap, bei welcher das Duo durchschnittlich die meisten sexistischen Begriffe pro Song verwendet.

Der Spiegel hat Rapper nach ihrem angeblichen Sexismus-Level sortiert

Rapper rappen immer wieder frauenfeindliches Zeug. No News. Alle Jahre rückt diese Tatsache mehr oder weniger intensiv im Fokus großer Medienhäuser. Gestern veröffentlichte der Spiegel einen Artikel zu einer Untersuchung von etlichen Songtexten aus unterschiedlichen Dekaden. Die Ergebnisse sind mit Vorsicht zu genießen.

Ist das noch feministisch?

SXTN interessiert diese Frage nicht. Sie setzten sich nämlich nie das Ziel, Feministinnen oder gar Vorbilder zu sein. "Wir haben nie Musik gemacht, um irgendein politisches Statement loszuwerden. Wir rappen einfach so, wie wir halt sind", erzählt Nura damals dem Spiegel. Sie wollen niemanden belehren, sondern einfach nur von ihren persönlichen Erfahrungen erzählen. Für politische Diskurse sorgten die beiden trotzdem.

"Hass Frau" ist einer ihrer kontroversesten Tracks. Frauen werden darin beleidigt, erniedrigt und wie Objekte dargestellt. Sogar beim sensiblen Thema der Vergewaltigung wird der Frau die Schuld gegeben, da sie "wie 'ne B*tch rausgeht". Für die Hook wurde ein Sample von Alice Schwarzer eingebaut, wie sie in einer Talkshow sexistische Zeilen von King Orgasmus One vorliest.

Bevor man das alles jedoch als frauenfeindlich abstempelt, darf man folgendes nicht außer Acht lassen: In ihrem Rap geht es meist um das, was sie selbst erlebt haben. "Hass Frau" kann also, wenn man es genau betrachtet, als ein sehr feministischer Track interpretiert werden. Die Lyrics spiegeln das Bild von Frauen in der Gesellschaft aus der Perspektive eines Mannes wider und sollen so die gegebenen Verhältnisse kritisieren.

Ob gewollt oder nicht, verbreiten SXTN in ihrer Musik also das, was man heute als "Female Empowerment" (weibliche Selbstermächtigung) bezeichnet. Und das auf eine ganz eigene, aggressive und teils ironische Art und Weise. Das sehen auch viele Fans so: Bis heute wird "Hass Frau" als "feministisches Meisterwerk" gefeiert. Einige betonen sogar, dass sie durch SXTN dazu angeregt wurden, sich mehr mit Feminismus und Sexismus auseinanderzusetzen.

"Wie ist es, als Weiber in dieser Szene zu sein?"

Diese Frage mussten sich Juju und Nura wohl oft anhören. Vier Jahre ist es nun her, dass SXTNs erstes und letztes Album "Leben am Limit" am deutschen Raphorizont erschien. In ihrem Song "Ausziehen" gaben die beiden Berlinerinnen einen Einblick in ihren Alltag als Rapperinnen.

"Rapper wollen mir erklären was Business is' / Doch verkaufen ihre Schwester für 'n bisschen Klicks /

Du rappst wie ein Player, doch du bist es nicht / Denn wenn du kommst und sie nicht, hat sie dich gef*ckt /

Zeig' mal bisschen haut und zieh' dich aus /

Stell' dich nicht so an, denn ich bin hier der Mann"

Sie beantworten ziemlich gut, wie sie sich als Frauen im Deutschrap fühlen. Nicht nur andere Rapper wollen ihnen die Welt erklären. Selbst Fans, die ihre Musik feiern, rufen ihnen bei Shows zu, dass sie sich ausziehen sollen. Genervt von solchen und vielen anderen Aussagen, schrieben sie den Song.

"Dadurch, dass es so wenige Rapperinnen gibt, ist vieles noch nicht aus weiblicher Perspektive erzählt worden. Viele Themen sind noch offen."

(Juju in einem Interview mit dem Berliner [030] Magazin)

SXTN brachten die weibliche Perspektive in den Mainstream

Dass Sexismus- oder Gesellschaftskritik nicht akademisch sein muss, sondern ruhig auch mal "asozial" sein kann, haben SXTN - wenn auch ungewollt - bewiesen. Juju und Nura sind zwar nicht die ersten Frauen, die mit erhobenem Mittelfinger in die männerdominierten Sphären des Deutschraps eingedrungen sind, jedoch haben sie ihre Spuren hinterlassen. Interessant ist dabei vor allem, dass sie nie den Anspruch hatten, politisch zu sein. Ist es vielleicht schon politisch genug, als Frau einfach nur über persönliche Erfahrungen zu sprechen? Vor allem heute, in einer Gesellschaft, in der sich Leute vermehrt mit Themen wie Rassismus, Sexismus und Gesellschaftskritik auseinandersetzen, sind solche Fragen, die zum Nachdenken anregen, sehr wertvoll.

Eine Frau, die bereits sehr früh begonnen hat, weibliche Selbstermächtigung in den Deutschrap zu holen, ist Lady Bitch Ray. 2007 releast sie ihre erste EP "Vorhang Auf!". Die Texte erinnern an Pornorap. Nichts neues. Abgesehen von der Tatsache, dass alles aus weiblicher Perspektive erzählt wird, natürlich. Genau wie SXTN eignet sich Lady Bitch Ray das sexistische Vokabular an, ohne dabei in die Opferrolle zu fallen – sie wird zur Täterin, die ihre männlichen Kollegen erniedrigt. Laut eigener Aussage ist sie jedoch an den sexistischen Strukturen im Rap gescheitert. Die Szene war womöglich damals noch nicht bereit für sie. In ihrem 2019 erschienenen Buch "Yalla, Feminismus!" erzählt sie von den Diskriminierungserfahrungen und verbindet diese sogar mit feministischer Theorie.

Auch Schwesta Ewa ist eine für ihr aggressives Vokabular bekannte Rapperin. Sie macht Straßenrap und erzählt von ihren Erlebnissen im Rotlichtmilieu – als Prostituierte und als Zuhälterin. Es taucht dieselbe vermeintliche Problematik auf: Sie ist eine Frau. Im gemeinsamen Song "Tabledance" von Schwesta Ewa mit SXTN betont Juju:

"Wäre sie ein Mann, dann wärt ihr leise."

Durch ihre Songs schafften SXTN es, Deutschrap den Spiegel vorzuhalten und ohne große Worte zu kritisieren. Was oftmals an politischen Diskussionen oder Gesellschaftskritik bemängelt wird, ist die Zugänglichkeit. Häufig wird mit Fachbegriffen oder Abkürzungen um sich geworfen, die nicht jedem bekannt sind und teilweise als Allgemeinwissen vorausgesetzt werden. Die Realität ist jedoch, dass nicht jeder Mensch in solch einer sensibilisierten Bubble unterwegs ist. Das Gute an SXTN: jede*r kann mitreden. Ob sie heute noch dieselbe Popularität wie damals genießen könnten, lässt sich - nicht zuletzt aufgrund der vielen hitzigen Diskussionen in Bezug auf politische Korrektheit - nur spekulieren. Abseits jeglicher politischer Diskurse lässt sich ihr musikalischer Impact nicht leugnen: Fakt ist, dass Partyhymnen wie "Von Party zu Party" oder "F*tzen im Club" auch lange nach ihrer musikalischen Trennung noch in Clubs gespielt wurden und so einfach wahrscheinlich nicht aus den Köpfen ihrer Fans verschwinden werden.

Mehr Weiber in der Szene

Heute ist Selbstermächtigung von Frauen im Deutschrap verbreiteter. MCs wie Layla, Liz, oder badmómzjay verbreiten weiter die Message und lassen sich nicht abstempeln. Auch Journalistinnen wie Lina Burghausen, Salwa Houmsi und viele andere Frauen, die in der Hiphopwelt ihren Platz einnehmen, setzen sich für mehr Repräsentation von Frauen ein. S-X-T-N, aka "das beste Team" ist natürlich nicht allein dafür verantwortlich, dass diese Entwicklung stattfindet. Sie haben aber definitiv ihren Teil dazu beigetragen und sich ihr Hak verdient. Was aber dennoch die traurige Wahrheit bleibt: Es muss sich in Bezug auf Sexismus noch eine Menge in der Hiphop-Szene tun, damit Frauen nicht mehr aufgrund ihres Aussehens, sondern aufgrund ihres Talents beurteilt werden.

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