Warum Eko Freshs "Aber" der beste Beitrag zur Integrations-Debatte ist

Irgendwie hat jeder eine Meinung zum Rücktritt von Mesut Özil aus der Nationalmannschaft. Die AfD nutzt die Entscheidung des Weltmeisters, um Propaganda für ihre Antimigrationspolitik zu machen. Viele andere bewerten den Austritt aus dem DFB-Team als folgerichtig und verweisen auf die rassistischen Strukturen in unserer Gesellschaft. Der sportliche Aspekt ist kaum noch relevant – es geht um Deutsche, Türken, Integration und um die kulturelle Zugehörigkeit eines Menschen.

Vielleicht bringt kein aktueller Debattenbeitrag die Sache deutlicher auf den Punkt als "Aber" von Eko Fresh. Es ist ein Song, der sich gegen die Spaltung ausspricht, die viele herbeizuschreiben versuchen:

Nirgends taucht die Regel auf, dass man sich ausschließlich einem Kulturkreis verpflichtet fühlen muss, sobald man sich an mehreren Orten heimisch fühlt. Ein deutscher Staatsbürger mit türkischen Wurzeln hat seine eigene Sicht auf die Welt und muss sich von keiner Agenda leiten lassen. Das Bewahren von türkischer Tradition in der Ordnung eines europäischen Gesellschaftssystem ist ohne weiteres möglich.

"Ich dachte, Brüderschaft, aber es war zu früh / Ich bin Deutsch-Türke, keiner weiß hier, was ich fühl'"

Bevor Eko diese Erkenntnis aus seinem Blickwinkel preisgibt, lässt er zwei verhärtete Fronten aufeinanderprallen. Ein überpatriotischer Deutscher bekommt dort genauso seinen Platz wie ein stolzer Türke. Der Darsteller des eher rechtsgesinnten Bundesbürgers droppt einen Part voller Klischees und Vorwürfe. Moslems setzt er mit Terroristen gleich, Angela Merkel spendiert den Flüchtlingen ein Rundum-sorglos-Paket und Drogen sowie Kriminalität kämen sowieso nur von außen auf deutsches Hoheitsgebiet:

"Die Merkel lässt noch mehr von diesen Leuten rein / Leben steuerfrei mit iPhones und dem neuesten Sche*ß / Ausbeuterei, die hier kurzerhand geschieht / Man versucht grad' meinem Volke seine Wurzeln zu entzieh'n"

Der Mann auf der anderen Seite des Tisches zeigt sich genauso wenig gesprächsbereit. Auch er ist nur damit beschäftigt, eine Salve von Vorurteilen abzufeuern. Deutsche würden sich an kleinen Kindern vergehen, die Frauen seien zu freizügig und generell sei das heutige Deutschland auf dem Rücken von Migranten errichtet worden. Dazu mischt der türkischstämmige Mann noch eine ordentliche Portion Nationalstolz in seinen Verse:

"Ihr seid jetzt so reich nur auf unser Eltern Schweiß / Denkt dran, wenn ihr lecker speist und wir einfachen Blätterteig / Wartet ab, bis mein Präsident euch zeigt / Wer Eier hat, und dann wird die Macht wieder gerecht verteilt"

Um die Botschaft des Songs zu transportieren, bedient Eko eines Kniffs eines amerikanischen Künstlers. Joyner Lucas griff für "I'm not racist" in die gleiche Trickkiste. Er legte zwei augenscheinlich unterschiedlichen Parteien zunächst ihre Sicht der Dinge in den Mund. Wo der amerikanische MC die Perspektiven eines Trump-Fans und eines Afroamerikaners gegenüberstellte, bittet Eko nun einen AfD-Wähler und einen in Deutschland aufgewachsenen Türken zu Tisch.

Im Unterschied zur Vorlage aus Übersee schreitet der Kölner Rapper am Ende ein und vermittelt im Gespräch. Ganz neu ist diese Idee nicht: Der Düsseldorfer Al-Gear setzte eine ähnliche Situation bereits 2012 in seinem Song "Integration" raptechnisch um, als rechter Patriotismus im politischen Diskurs nicht so präsent war wie heutzutage – damals saß noch ein NPD-Wähler auf der einen Seite des Tischs.

Ekrem Bora ist selbst jemand, der beide Welten in sich vereint und damit augenscheinlich keine Probleme hat. Er tritt hier als Repräsentant für einen offenen Dialog auf, der durch die verhärteten Fronten im aktuellen Diskurs oft verhindert wird. Beide Lager fühlen sich von der Gegenseite in die Ecke gedrückt und lassen sich dazu verleiten, eine festgefahrene Position einzunehmen, ohne den Argumenten der Gegenseite eine faire Chance zu geben. Damit besetzt er indirekt die Position von Mesut Özil, welcher aktuell ebenfalls in eine Ecke gestellt und so zur Symbolfigur für die Hardliner der türkischen Seite gemacht wird. Dabei teilt der Fußballer Ekos Background und ihm müsste es ebenso möglich sein, sich als Deutsch-Türke nicht für die zwei Herzen in seiner Brust rechtfertigen zu müssen:

"Glaubt mir, Jungs, es gibt Tausende von uns / Wir sind zwischen beiden Welten aufgewachsen, Punkt"

Die Lösung, die Eko allen auf dem von Samy Deluxe produzierten Song an die Hand gibt, ist vielleicht naiv, aber gerade daher nachvollziehbar. Es ist ein Appell an den gesunden Menschenverstand. Es kann kein gesellschaftliches Interesse daran geben, nicht mehr vernünftig miteinander klarzukommen. Die Protagonisten des Clips springen sich im Anschluss an Ekos Vortrag nicht an an die Gurgel. Sie scheinen darin erinnert worden zu sein, dass Furcht vor dem anderen und Furcht vor einem konstruktiven Austausch niemandem nützt. Denn Furcht führt zu Wut, Wut führt zu Hass, Hass führt zu unsäglichem Leid. Und das kann nun wirklich niemand wollen. Am liebsten möchte man einfach Ekos Optimismus teilen: 

"Ihr macht das schon"

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