Orkan Çe im Interview über den Beruf des Videoproduzenten, die Arbeit mit Rappern & seine Masterclass
Orkan Ce

Orkan Çe ist einer der bekanntesten und gefragtesten Musikvideo-Produzenten im Deutschrap. Von Asche über AK AusserKontrolle bis hin zu Bushido setzen eine Vielzahl an Artists auf die Videos des Berliners. Wir haben uns mit ihm zusammengesetzt und über die Arbeit als Regisseur, die Zusammenarbeit mit Rappern sowie seine Masterclass für aufstrebende Videografen gesprochen.

Orkan Çe im Interview mit Hiphop.de

Till: Da ich es hasse, andere Leute vorzustellen, laste ich dir diese Aufgabe direkt einmal auf. Für die Leute, die dich noch nicht kennen, wer bist du?

Orkan Çe: Mein Name ist Orkan Çe, ich bin Musikvideo-Produzent. Mittlerweile seit zehn Jahren dabei. Ich hab' den großen Deutschrap-Hype so um 2015 mitgenommen und konnte das Ganze dann auch hauptberuflich machen. Mittlerweile sind viele Stars entstanden, die ich begleitet habe, von Anfang an.

T: Ich meine, du hast vor einiger Zeit im "Deutschrap Plus"-Podcast erzählt, dass du angefangen hast mit Musikvideos, weil du keinen Bock mehr hattest, bei McDonald's zu arbeiten. Ist das richtig?

O: Auf jeden Fall. Das war so um 2010, 2011 'rum. Ich dachte mir damals einfach: "Komm, probier das doch einfach mal." Da hab ich das erste Musikvideo gedreht gehabt. Für Sylvestah, der ehemalige Hecklah & Coch-Rapper. Kennst du die noch?

T: Ja, klar. Du meintest in dem gleichen Podcast dann, dass du auf das Video direkt sehr positive Resonanz bekommen hättest. Kannst du aus heutiger Sicht genau festmachen, woran das lag? Man denkt ja eigentlich, jeder fängt erstmal klein und unbeholfen an.

O: Ich hab mir das Video tatsächlich vor zwei, drei Monaten noch einmal genauer angeguckt und mal so aus der heutigen Sicht analysiert. Ich hab auf jeden Fall damals schon ein gewisses Auge gehabt. Ich wusste einfach, das sieht gut aus. Und der zweite Punkt ist: Ich hab schon damals extrem auf die Ästhetik der Lichtstimmung geachtet und dann auch auf das Color Grading. Diese zwei Faktoren ergeben im Zusammenspiel einfach grundlegend ein gutes Aussehen. Das muss man nicht unbedingt erlernen, das kommt einfach intuitiv. Alles Technische kommt danach. Der Grundbaustein, einen guten Geschmack zu haben, war aber da. Und dann hat es einfach Spaß gemacht.

T: Wie ging es danach dann weiter bei dir?

O: So um 2012 habe ich Woroc kennengelernt, der hatte so ein Label [OneMillion Berlin, A.d.R] und über den bin ich dann irgendwie reingekommen. Der hat direkt erkannt: "Okay, der kann was." Da habe ich dann auch Jalil kennengelernt.

T: Für Jalil hast du 2015 das Video zu "Nino Brown" gedreht. Darüber hast du mal gesagt, du hättest das quasi ohne Budget gemacht und dafür wurde das Video dann aber über den Fler-Kanal veröffentlicht und einer breiten Masse präsentiert. Würdest du aufstrebenden Videoproduzenten heutzutage immer noch zu sowas raten? Für Exposure eine mindere Bezahlung in Kauf zu nehmen?

O: Ja, zu einhundert Prozent. Bei "Nino Brown" war Jalil gerade zurück bei Maskulin. Da hat er mich angerufen und meinte, er braucht eine Videosingle, aber es gibt kein Geld für das Video. Und da war ich direkt am Start. Da haben meine Alarmglocken geläutet, weil ich wusste, da muss ich mich jetzt ins Zeug legen. Das ist eine coole Plattform, wo eine breitere Masse mal meine Sachen sehen kann. Und die Chance hab ich genutzt. Also, definitiv erstmal Reichweite vor finanziellen Erfolg stellen.

T: Okay, ich verstehe. Ich glaube halt, es gibt viele Leute, die gerade am Anfang ihrer Karriere nur schwer einschätzen können, ob sie gerade abgezogen werden oder einen sinnvollen Move machen.

O: Man muss halt gewisse, ich nenne es jetzt mal Business-Tools beachten, damit man überhaupt Fuß fassen kann. Gerade die ganzen jungen Videoproduzenten haben mittlerweile so viel Konkurrenz. Es ist gar nicht mehr so einfach, damit durchzustarten, wie vielleicht noch 2013.
Gleichzeitig nennen die Leute heutzutage manchmal schon nach zwei Videos wirklich komische Preise, die würde ich nach zehn Jahren nicht mal in Erwägung ziehen. Das sind dann Leute, wo ich sagen würde, die haben zwar Talent, aber das wird sich nicht weiter ausbauen. Weil: Die ganze Hiphop-Industrie lebt nicht davon, dass man da viel Geld verdient, sondern davon, ein cooler Typ zu sein. Du bist vielleicht broke, aber drehst coole Sachen. Du bist angesagt. Wenn du ein Hochzeitsvideograf bist, dann verdienst du vielleicht ein paar Tausend Euro – aber wer will mit dir chillen? Das bedeutet, wenn du das als Sprungbrett siehst, dann nehmen dich die Leute auf lange Sicht viel ernster.

T: Was war der Punkt für dich, wo du gemerkt hast, dass du das hauptberuflich machen kannst?

O: Ich hab halt nichts anderes gelernt. Damals gab es noch keinen Mindestlohn und man hat bei McDonald's 7,30 Euro verdient, also 700 bis 900 Euro im Monat. Und mit einem Musikvideo hab ich mal eben 300 bis 500 Euro verdient, zu Anfang. Da hab ich das gleiche Geld dann mit drei Projekten gemacht, ohne die Kopfschmerzen. Da wusste ich, das mache ich.

T: Würdest du sagen, heutzutage ist es schwerer, Videograf zu seinem Beruf zu machen?

O: Du musst halt Aufmerksamkeit auf dich ziehen. Und heutzutage ist es einfach schwieriger, einen komplett eigenen Style zu etablieren. Das heißt, nach ein paar Wochen ist das meiste wieder vergessen. Weil es schon so viel gab, ist es oft schwieriger, die Zuschauer zu flashen. Ähnlich wie bei den Artists. Deswegen kann ich immer nur empfehlen, sich mit größeren Videografen zu connecten. Damit man möglichst kontinuierlich bei coolen Projekten dabei ist. Dann bleibt das auch bei den Künstlern hängen.

T: Ich meine, Bushido hat über dich mal gesagt, dass er dank dir wieder Bock darauf bekommen hat, Videos zu drehen. Was glaubst du, warum deutsche Rapper so gerne mit dir zusammenarbeiten?

O: Ich glaube, das liegt ein bisschen an meiner behinderten Arbeitsweise. Ich hab mir nie von anderen abgeguckt, wie man es "richtig" macht. Ich bin immer mit meiner Logik daran gegangen und da hat sich schnell gezeigt, dass man nicht viel planen muss. Man darf die Arbeit auch nicht zu ernst nehmen, sondern muss viel intuitiv machen. Am Ende kommt dann ein Video dabei raus, was cool zum Song passt und eine geile Atmosphäre hat.
Der Vorteil an dieser Herangehensweise ist, dass der Künstler nie das Gefühl hat, auf der Arbeit zu sein. Es ist nicht alles streng durchgetaktet. Mit mir ist es einfach so, dass man zusammen durch die Gegend läuft und guckt, was gut passen könnte. Da kommen meistens Sachen bei raus, die komplett geil sind. Für "Hades" von Samra und Bushido sind wir zum Beispiel einfach nur durch Tokyo gelaufen.

T: Kam es schon mal vor, dass diese Herangehensweise für jemanden zu unorganisiert war?

O: Das gibt es eigentlich jedes Mal mit neuen Künstlern. Wobei, mittlerweile haben die von anderen halt auch manchmal schon gehört, dass es so gut funktioniert. Aber am Ende liefer' ich halt auch immer das Video ab und dann nehmen die meistens alles zurück (lacht). Deswegen lässt mich das inzwischen kalt, wenn die anfangs rumnörgeln.

T: Wie läuft das generell mit neuen Künstlern so ab? Kommen die Artists auf dich zu oder gehst du auch manchmal auf die zu?

O: Ich hab noch nie großartig nach Künstlern gesucht. Das war immer mehr so ein natürlicher Prozess. Das bedeutet, ich arbeite zum Beispiel mit GRiNGO zusammen und der macht einen Song mit AK AusserKontrolle zu dem ich das Video machen soll. Da lerne ich AK kennen und arbeite ab diesem Projekt auch mit ihm zusammen. Es wächst organisch.

T: Wie oft wirst du über Instagram von irgendwelchen Newcomern angeschrieben, die wollen, dass du ihr Video drehst?

O: Täglich eigentlich. Aber ich arbeite eigentlich sehr ungern mit kompletten Newcomern, die noch nie ein Video gedreht haben. Die wissen noch gar nicht, was sie auf einem Dreh erwartet und ich muss denen dann quasi einen Workshop geben.

T: Aber wenn jetzt jemand kommt, der dich krass überzeugt, würdest du das dann trotzdem in Kauf nehmen?

O: Zu einhundert Prozent. Auch wenn der wenig oder kein Geld hat, dann mache ich das auch.

T: Wo du eben schon das Stichwort "Workshop" gegeben hast. Du hattest ja im vergangenen Jahr so eine Art Trainee-Programm gestartet. Wie steht es derzeit um diese Masterclass?

O: Ich bin aktuell dabei, die Leute auszubilden. Ich hab schon einige sehr, sehr starke Videografen dabei, die auch schon bei "richtigen" Drehs geholfen haben. Ich gebe da Workshops, die aber echte Musikvideodrehs sind. Damit die Leute direkt Praxiserfahrung sammeln können. Bis die an diesem Punkt sind, bereite ich die online vor. Da gebe ich mein ganzes Wissen, mein ganzes Mindset in einem Kurs gebündelt weiter. Innerhalb von einigen Monaten. Da lernst du die Grundkenntnisse, um bei einer Produktion mitmachen zu können.
So versuche ich jungen Videografen eine Möglichkeit zu geben, in das Geschäft reinzukommen. Weil davon gibt es nicht so viele.

T: Kann ich da einfach mitmachen?

O: Gegen eine Gebühr. Ich sehe das als eine Art Kaution. Das ist für mich die Absicherung, wenn die Leute nach zwei Monaten merken sollten, das ist doch nichts für sie, habe ich nicht meine Zeit verschwendet. Wenn die aber durchziehen sollten, gibt es auch die Möglichkeit, dass ich denen Aufträge zuteile und das Geld damit verrechnet wird. Dann hast du sozusagen nach zwei bis drei Drehs das Geld wieder drin.

T: Aber ich brauche jetzt keine großartige Vorerfahrung oder so?

O: Nein, du kannst von null anfangen.

T: Du wirst jetzt hier wahrscheinlich ja nicht alle deine Tipps direkt verraten. Aber gibt es eine Sache, die du gerne früher gewusst hättest oder erst spät gelernt hast?

O: Wenn Künstler deine Videos kritisieren, dann meinen die das nicht böse. Da muss man dann manchmal vielleicht einfach noch bisschen was draufhauen. Dann setzt man sich noch einmal die Nacht über hin und schneidet Sachen neu und liefert am nächsten Tag ab.

T: Wie oft kommt das so vor, dass du über die Videos nochmal drüber gehen musst?

O: Ich sage mal so, von 100 Videos sind vielleicht zehn dabei, die nochmal geändert werden müssen. Gar nicht mal unbedingt wegen mir, sondern oft auch einfach aufgrund äußerer Umstände. Eine Person muss rausgeschnitten werden und dadurch fällt eine Kulisse weg und dann sieht das Video direkt ganz anders aus. Solche Dinge halt.
Und noch einen Tipp kann ich geben. Der ist aber sehr hinterhältig (lacht): Versucht eure Videos so spät wie möglich abzugeben. Je früher ihr das abgebt, desto öfter wird sich der Künstler melden und um Änderungen bitten. Dann habt ihr am Ende die Kopfschmerzen.

T: Gibt es etwas, worauf der Artist achten sollte bei einem Dreh?

O: Der Rapper sollte sich auf jeden Fall um seine Outfits kümmern. Nicht der Videoproduzent. Der weiß selbst am besten, was ihm steht und was nicht. Die meisten Szenen fallen raus, weil der Künstler sich selbst nicht gefällt. Das hat dann mit der Frisur zu tun, oder die Jacke hängt falsch, oder eine Schnur vom Pullover liegt nicht richtig. Und er sollte daran arbeiten, wie er den Song performt. Beispielsweise ein Bushido performt so krass, da sitzt einfach jede Szene. Da kann man mit viel mehr Material arbeiten.

T: Wie läuft so eine Video-Konzeptionierung ab? Kommen die Artists auf dich zu, und sagen, was sie gerne für ein Video hätten oder liegt das in deiner Hand?

O: Die meisten, die mittlerweile zu mir kommen, kommen zu mir, weil sie wissen, was sie von mir kriegen. Ich würde aber mal sagen, am Ende ist es so fifty-fifty. Häufig kommen die mit Wünschen und ich hab direkt Ideen und dann ist das so ein gemeinsames Projekt.

T: Gibt es noch etwas, das dich neben Musikvideos mal reizen würde, umzusetzen? Einen Film, oder ähnliches?

O: Ja, auf jeden Fall. Zum einen will ich weiter mein Wissen weitergeben, das macht mir viel Spaß und gibt dem Ganzen so einen Sinn. Und sonst, so wie du sagst, die Filmbranche reizt mich natürlich. Aber das will ich dann auf meine Art und Weise machen.

T: Wild, da kann man also auf jeden Fall gespannt bleiben. Gibt es noch irgendetwas, das du loswerden möchtest?

O: Jeder, der in Zukunft etwas erreichen will, sollte sich mit Videoproduktion auseinandersetzen. Es wird immer wichtiger, dass du Video Creator wirst. Dein Arzt ist Influencer, dein Spätkauf-Verkäufer ist Influencer. Für jede Art der Dienstleistung ist Videoproduktion in Zukunft extrem wichtig. Wenn du dieses Medium beherrschst, wirst du nie Schwierigkeiten haben mit deinem Business.

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