Vom Underground auf den Zenit: RAF Camoras Aufstieg in 2 Köln-Konzerten

Köln, 8. März 2019

RAF Camora spielt mit Bonez MC in der ausverkauften Lanxess Arena in Köln. Deutschlands größte Mehrzweckhalle, eine der größten Konzert-Locations Europas, ist ausverkauft. Über 16.000 Menschen, wie Bonez immer wieder betont. Laut Gzuz sollen es über 500.000 Hände sein, die bei manchen Songs in die Luft gehen. Wenn man es genau nimmt, haut das zwar nicht ganz hin, aber man kann schon verstehen, dass es sich so anfühlt.

Das hier ist der Zenit. Nicht nur für RAF, der dieses Jahr unter diesem Titel sein vermeintlich letztes Album als Rapper veröffentlichen will, sondern auch für Bonez, Gzuz, Maxwell, Sa4, die Band und alle Beteiligten, die heute auf und hinter der Bühne stehen. Größer geht es nicht in Deutschland, solange man ein Dach über dem Kopf haben will. Auch für viele im Publikum ist dieses Konzert ein absoluter Höhepunkt, was ich mit hundertprozentiger Sicherheit behaupten kann. Denn wie die beiden Kerle vor uns durchdrehen, als RAF genau auf sie zeigt, während einer von ihnen grade seine Handykamera auf ihn richtet, sagt mehr als tausend Worte.

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Was für eine Paaaarty !!

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Diese Leidenschaft ist die gleiche, die man auch bei RAFs Fans vor dem großen Erfolg beobachten konnte, als er selbst in der Szene noch als Geheimtipp galt oder ein paar Jahre später, als diese Szene noch nicht die Popkultur im deutschsprachigen Raum im Griff hatte wie die Automobilindustrie die Bundesregierung ...

Köln, 21. April 2016

RAF Camora spielt, mit Haze und Karmo Kaputto als Support, im Underground in Köln-Ehrenfeld. 400 Leute fasst der größere Teil der Location, der heute restlos ausverkauft ist. Selbst wer hier in der letzten Reihe steht, kann die Emotionen aus RAFs Gesicht ablesen, während er wortwörtlich dabei ist, Geschichte zu schreiben.

Der erste gemeinsame Song mit einem gewissen Bonez MC, mit dem RAF eine Leidenschaft für Reggae und Dancehall teilt, ist seit knapp vier Wochen online. Bonez' Part übernimmt schon jetzt die textsichere Crowd. Das neue Album "Ghost", das hier live präsentiert wird, ist noch keine Woche alt. Vielleicht spürt der Österreicher bereits, dass diese neue Freundschaft sein Leben unwiderruflich und für immer verändern wird. Ich zumindest habe schon seit "9mm" von Gzuz und Bonez den Wunsch, dass der 187-Leader ein Dancehall-Album aufnimmt. RAF könnte der richtige Mann sein, denke ich mir, ohne zu ahnen, wie richtig ich liege.

Genauso wenig ahne ich vor dem Konzert, dass es mir noch lange als eins der besten Konzerte überhaupt in Erinnerung bleiben wird. Vor der Tür wird deutlich, dass der Winter endgültig eingepackt hat – endlich reicht wieder ein Pulli, wenn man vor die Tür gehen will und nicht plant, noch bei Sonnenlicht nach Hause zu kommen. Von den Vor-Acts über die Crowd bis hin zum Zeitpunkt passt einfach alles. Die Atmosphäre war friedlich, euphorisch und einfach positiv. Im Nachhinein lässt es sich leicht sagen, aber ich meine tatsächlich, an diesem Abend die Energie eines Aufbruchs zu fühlen.

Es ist nicht mein erstes RAF-Konzert, aber das erste, das mich nachhaltig flasht. Ein guter Freund (nennen wir ihn einfach mal André) nimmt mich seit Jahren mit, weil ich der rapaffinste im Freundeskreis bin. Er selbst ist Fan seit Tag 1, hat jedes Album in der Vitrine und diverse Corbo-Klamotten im Schrank. "Kranich", "T.R.I.P.", "Ich und mein Kroko", "Winner" und "Jeder Tag" vom Silla-Album "Sillainstinkt" sind inzwischen unsere persönlichen Klassiker, auf die wir auch heute nicht verzichten müssen.

Der Abend wird verhältnismäßig gut dokumentiert im Internet landen, weil Rooz vor Ort ist und Vlog-Material sammelt. Das Intro des Vlogs lässt uns wissen, dass RAF und seine Crew vor dem Konzert Musik des französischen Duos PNL hören. Nicht die einzige Parallele zu einem viel größeren Konzert, das er nicht mal drei Jahre später vor einer 40-fach (!) größeren Crowd geben wird ...

Köln, 8. März 2019

Zurück in der Gegenwart. Die Halle ist bereits bis unters Dach gefüllt mit Menschen, als wir etwas zu spät ankommen: Innenraum, Unterrang, ein Ring aus VIP-Logen und darüber der Oberrang. Full! Die Vor-Acts haben wir verpasst, aber wir sind noch rechtzeitig da, um zu hören, wie PNL eine fünfstellige Menschenmenge auf das Folgende vorbereiten. Die Bühne wird von einem gigantischen Tuch verdeckt, die ikonische Palme am Ende eine Stegs ragt dafür schon aus den wabernden Köpfen heraus. Mit dieser Palme werden RAF und Bonez das Bühnenbild ihrer überdimensionalen Tour für Zehntausende unvergesslich machen, denke ich mir und ahne, damit sehr richtig liegen zu können.

André muss irgendwo unter all diesen Leuten sein – er verpasst bis heute kein RAF-Konzert in Köln. Auch Rooz ist wieder vor Ort. Er sammelt zwar kein Vlog-Material, aber snackt sich dafür durch von Xatar gesponsertes Catering im Backstage-Bereich. Das Kroko ist nicht mehr nur in Form eines Songs anwesend, sondern tatsächlich als riesige, aufblasbare, reptiloide Requisite. Bronko ist der Name. Neben ihrer mittlerweile genreprägenden Liebe für exotische Sounds teilt das erfolgreichste Deutschrap-Duo aller Zeiten nämlich auch ein Faible für Krokodile. Ja, in den letzten drei Jahren konnte man oft den Eindruck bekommen, dass das Schicksal es darauf angelegt hatte, diese beiden zusammenzubringen.

2016 waren Gastautritte von Joshi Mizu und Pedaz, der obligatorische Jubel für RAF beim Wassertrinken und eine Stagediving-Einlage zum Schluss die showtechnischen Highlights. Heute gibt es das Krokodil, eine Feuer und Dampf schießende Palme, eine amtliche Lichtshow, eine Live-Band, zu den Songs passende Visualisierungen, die die Atmosphäre der kompletten Optik beeinflussen können, eine Replika der vom "Palmen aus Plastik"-Cover bekannten Treppe in Barcelona, einen albanischen Superstar und einen beeindruckenden Hitkatalog, der mit Gold, Platin und Diamant ausgezeichnet ist. Wer heute die Emotionen aus RAFs Gesicht lesen will, muss entweder Stunden vorher vor der Arena warten oder einen der etliche Meter hohen Bildschirme an den Seiten der Stage beobachten.

1RAF7 haben Deutschrap komplett auf den Kopf gestellt und auf dieser Tour entlädt der nicht endende Hype sich in seiner vollen Wucht. 16.000 Menschen, 531.746 Hände, 1.237.011 Handylichter, die die Rapper auf der Bühne nach Belieben kontrollieren (kontrollier'n, kontrollier'n). Von Links nach Rechts, hoch, runter, nur die Lichter vom Oberrang, dann nur in der Mitte, dann oben und unten, dann alle. 20.941.613 Stimmen, die "EINSACHTSIEBÖÖÖÖN" im Chor brüllen. Wer hier von Anfang bis Ende nicht ein einziges Mal Gänsehaut bekommt, innehält und den Blick durchs Oval schweifen lässt, ist vermutlich zu betrunken.

Hätte ich die Vervierzigfachung des Publikums nicht selbst miterlebt, könnte ich sie kaum glauben. Anders als im Underground fühlt dieses Spektakel sich aber nicht mehr nach Aufbruch an – es macht den Eindruck als wäre RAF angekommen auf seinem Zenit, von dem aus er in aller Seelenruhe und die Kraniche grüßt, die Richtung Süden ziehen. Es sei ihm gegönnt.