8 Deutschrap-Newcomer*innen, die du 2023 im Auge behalten musst
OG LU, Wa22ermann & Souly

Jedes Jahr rappen sich im wahrsten Sinne des Wortes unzählige neue Artists ins Deutschrap-Game. Und einige liefern trotz junger Karriere schon Hitze mit so viel Potenzial, dass es sich mehr als lohnt, sie auf dem Schirm zu behalten. Wie auch im vergangenen Jahr präsentieren wir euch als Redaktion (die Autoren stehen jeweils unter den Texten) im Folgenden eine Reihe an Newcomerinnen und Newcomern, die 2023 im Deutschrap und in ihren Nischen übernehmen könnten.


Deutschrap Newcomerinnen & Newcomer 2023

Wa22ermann

Viele Songs hat Wa22ermann noch nicht releast. Vielversprechend sind diese aber allemal. Auf stets harten, aber immer abwechslungsreichen Instrumentals erzählt die Newcomerin aus Berlin-Kreuzberg vom Leben im Viertel und verpackt ihre Geschichten mit einer saftigen Portion Gleichgültigkeit. Wenn einer Person egal ist, was andere Menschen von ihr halten, dann ist das wohl Wa22ermann. Ihre felsenfeste Attitude ist das, was Fans schon seit ihrer ersten Single "Salsa" an ihr zu schätzen wissen:

"Was für 'ne Welt, in der wir heute leben/ Musst mich nicht mögen, ich mag auch nicht jeden/ Hater und Pickel gehör'n zu dem Leben/ Ich lasse sie reden"

Dass sie ausgerechnet "Was denn?!" zu ihrem Signature-Adlib gemacht hat, passt dabei natürlich exzellent zum selbstbewusst-desinteressierten Image ihrer Kunstfigur. Und wie sie diese ausbauen wird, das wird sich schon bald zeigen: Am 16. Februar wird Wa22ermann mit ihrer "7:30 EP" erstmals ein handfestes Musikprojekt veröffentlichen. Ihre letzte Single "Bienennest", die sich durch einen treibenden und düsteren Club-Sound auszeichnet, hat die freudigen Erwartungen an das Projekt jedenfalls in die Höhe geschraubt. Wird sie mehr Licht ins Dunkel ihrer bislang noch ziemlich mysteriös erscheinenden, musikalischen Welt bringen? Gut möglich. Sicher ist aber, dass sie auf ihrer EP und auch darüber hinaus weiterhin einige "Bomben so wie Bombermann" droppen wird.

(Leon Schäfers)

Lores

Wenn Ahzumjot in seinem "Raum 4" Twitch-Stream einen deiner Tracks anhört und selbst sagt "Bruder, wir müssen reden. Lass uns connecten" kann das eigentlich nur ein gutes Zeichen sein. Lores ist gerade erst am Anfang seiner Rap-Karriere – über den Newcomer-Titel könnte man sich aber streiten. Schon 2019 veröffentlicht der Rapper erste Tracks. Danach wurde es aber erst mal still um den selbst ernannten Sinner. 2022 scheint der Frankfurter Rapper wieder Blut geleckt zu haben und eröffnet die "Sinner-Season" mit der Single "Maria’s Interlude". Der Track lebt von einem verträumten Gerüst auf einem Dancehall-inspirierten Drumloop und der Mischung aus Rap und Gesang.

“Shawty nein, das ist kein Liebesbrief, du hast noch so viel mehr als mich verdient. Bleibe lieber einsam als dich wieder mal nach unten mit mir mitzuzieh'n.“

Aber Lores kann nicht nur einen spezifischen Sound. Die darauffolgenden Tracks zeigen, dass auch trappige Sounds à la Lil Yachti, 808-lastige Instrumentals und technisch-versierte Reimketten zum Repertoire des Rappers gehören  und alles ist DIY. Spätestens auf dem aktuellen Release "OHBOYWHATUDOIN? (Intro)" wird deutlich, dass sehr viel Potenzial in dem Rapper steckt. Der Track ist ein Intro – man kann also davon ausgehen, 2023 noch so einiges von Lores zu hören.

(Veronika Vielrose)

XWave (Bangwhite, Kardo & Gotti)

Okay, zugegeben, ich mache es mir relativ einfach, wenn ich kurzerhand ein ganzes Label mit in diese Liste aufnehme. Aber da Bangwhite, Kardo und Gotti großteils gemeinsam auf Tracks rappen und gerade erst ein Labelsampler erschienen ist, passt das schon.

Ebendieser Labelsampler gehört für mich mit zu dem Besten, was Deutschrap im letzten Jahr zu bieten hatte. Konnte mich die selbstbetitelte EP aus dem Jahr davor schon gut überzeugen, hat mir "XWave Sampler Vol.1" komplett den Rest gegeben. 14 Tracks und jeder Song ein Banger. Wirklich jeder. Dabei gelingt es den dreien, obwohl auf so gut wie allen Liedern ein Featuregast am Start ist, nie den eigenen Style zu verlieren und einen ganz klaren Film zu fahren.

Knapp eine halbe Stunde lang werden hier die Cali-Packs gepusht und Pakete fit gemacht. Mit so viel Bass, dass die Boxen im Auto schnell anfangen zu leiden. Wer besonders tiefsinnige Texte oder einen verantwortungsvollen Umgang mit Drogen erwartet, der wird enttäuscht. Wer aber einfach Bock hat auf atmosphärische Mucke, die wirklich Spaß macht, dürfte 2023 die heißeste Ware aus Wuppertal beziehen.

Checkt unbedingt den Labelsampler aus:

(Till Hesterbrink)

OG LU

Mit ihrer Instagram-Bio macht OG LU es mir unsagbar einfach, sie in nur wenigen Worten zu beschreiben: 50 % Habibti 50 % Banditi. Die Frankfurter Rapperin ist tiefenentspannt und gleichzeitig aggressiv. Man könnte meinen, OG LU ist eine Fusion aus der zurückgelehnten und Boom-bappigen Attitüde SSIOs und der Härte und Roughness einer LIZ. Ihre markante und tiefe Stimme hinterlässt Eindruck, sprüht vor Authentizität und macht Lust auf mehr. Innerhalb des letzten Jahres veröffentlichte LU sechs Songs – sie kam quasi aus dem Nichts. Und ich kann mir nicht vorstellen, dass sie vorhat, so schnell wieder das Feld zu räumen.

Gras, Alltags-Nacherzählungen und MMA – alles vereint OG LU auf ihrer Musik. Mit "Namajunas" schenkt sie der MMA Kampfsportlerin Rose Namajunas nicht nur einen eigenen Track, sondern zeigt auch, dass in der Rapperin mehr als bloß Kopfnicker-Sound steckt. Von OG LU wird man mit Sicherheit dieses Jahr noch einiges hören. Wer also jetzt noch auf den Ich kannte sie schon, als sie noch keiner kannte-Zug aufspringen möchte, sollte sich jetzt ranhalten!

(Veronika Vielrose)

EN6O

Wie bei vielen anderen Menschen der Generation Z hat die Zeit der späten 2000er bis Mitte der 2010er einen bleibenden Eindruck hinterlassen. So auch bei EN6O, der die verschiedenen Elemente dieser Ära in seiner Musik einfließen lässt. Der Newcomer aus Wien veröffentlichte zwar schon 2018 seinen ersten Track, aber bei EN6O steht Qualität vor Quantität: 2022 veröffentlichte er nur zwei Solo-Songs, seine einzige EP ist aus 2020. Von Referenzen zu Kleidungsmarken wie Hollister und Abercrombie bis Songs über Paris Hilton. EN6O macht klar, wann er aufgewachsen ist:

"Ich fühl’ mich wie Pitbull/ in 2010/ ich fühl’ mich wie Taio Cruz/ du kannst nicht versteh'n"

Der deutsche Rap dieser Zeit hat den Newcomer natürlich ebenfalls geprägt. Auf der Hook seiner neusten Single “Clash of Clans” aus diesem Januar bedient er sich lyrisch an der bedeutendsten Zeile seines österreichischen Kollegen Money Boy und vergleicht sich gleich zweimal mit dem Prince of Belvedair Kay One:

"Ok, ich steige aus dem Bett und dreh mein Swag auf,/ sie wohnt in der Innenstadt, ihr Vater hat ein Penthouse/ 'Yolo' stand in der Schule immer auf meinem Heft drauf,/ Oh oh, ich glaub’, sie ist verliebt, ich muss da schnell raus"

EN6Os Sound ist dabei keineswegs aus der Vergangenheit. Von klassischen SoundCloud- und Trap-Beats bis hin zu seiner heutigen Mischung aus Hyperpop und Autotune-Rap hat EN6O jetzt schon seine musikalische Vielfalt bewiesen. Das ist nicht unbemerkt geblieben: Im Oktober 2022 signte ihn Sony Music Austria. Und im Dezember desselben Jahres holte ihn der Wiener Superstar Yung Hurn auf den Song "Hollister" seines "Crazy Horse Club Mixtape, Vol. 1".

Fun Fact: Auf "Clash of Clans" samplete EN60 ebenfalls den Song "Better off Alone" von Alice Deejay, den Yung Hurn auch auf "Eine Nase" nutzte.

(Michael Ebenger)

Levin Liam

Bei Levin Liam haben wir es mit einem echten Multitalent zu tun. Eigentlich ist der 23-Jährige nämlich Fernsehschauspieler. Neben seiner Hauptrolle im deutschen Spielfilm "Wolfskinder" kennt man ihn vor allem aus dem Tatort Hamburg und diversen SOKO-Ausgaben. Nun schlägt er auch seinen Weg in die Musik ein: Vor nicht mal einem Jahr hat er seine erste Single "Keine Geduld" releast. Dabei handelt es sich definitiv nicht um Rap in seiner Reinform. Es hat aber seinen berechtigten Grund, warum Teile der deutschen Hiphop-Szene schon ihr Auge auf den Jungen gerichtet haben.

Sanft, melancholisch und beinahe zerbrechlich bringt er seine nachdenklichen Texte auf Beats rüber, die ihm immer genügend Raum für seine tiefsinnige Art geben. Mal in Form von Sprechgesang, mal mit deutlich melodiöserem Stimmeinsatz – aber immer am Zahn der Zeit. Musiker wie Schmyt leben bereits vor, wie man eine Deutschrap-nahe-Connection aufbaut, ohne dass die eigene Musik im ersten Augenblick darauf schließen lässt. Levin Liams derzeitige Position erinnert ein wenig daran: Auf "lange nicht mehr hier" holt er sich beispielsweise Support von Ansu, der den Song mit einem stabilen Rap-Part geschmeidig abrundet.

Paula Hartmann, Lugatti, Nimo, Yassin und sogar Azad sind nur ein paar der vielen Namen, die sich schon in den Kommentaren seiner Instagram-Beiträge versammeln. Noch ist genügend Zeit, sich den Leuten anzuschließen, um hinterher sagen zu können, dass man noch vor dem Hype dabei war. Denn der wird in diesem Jahr mit ganz bestimmter Sicherheit wachsen.

(Leon Schäfers)

Souly

Ich will ehrlich sein: Als ich Souly das erste Mal gehört habe, habe ich ihn als einen von vielen abgetan und mich nicht weiter mit seinem Schaffen beschäftigt. Schande über mein Haupt! Denn vor Kurzem stieß ich zufällig auf seine Zusammenarbeit mit The Cratez, "Ich wünschte es würde mich kümmern" und erwischte ich mich dabei, den Track direkt auf repeat zu packen. Auch Tage später hatte ich den Song immer noch im Kopf. Etwas hat Klick gemacht.

Grund genug, sich noch einmal mit einer deutlich positiveren Einstellung durch seine Diskografie zu hören. Und was soll ich sagen? Das eingangs erwähnte Abtun war eine bodenlose Fehleinschätzung. Der Boy ist krass. Selbst mit einer Stimme, die mir normalerweise eigentlich nicht zusagen würde, schafft Souly es, Ohrwurm um Ohrwurm rauszuhauen. Ob mit dem sehr ruhigen "Nowitzki Flow", dem gut gelaunten "Woah" oder eben der äußerst eingängigen Cratez-Kollabo, irgendwas bleibt immer hängen. Das ist umso beeindruckender, wenn man in Betracht zieht, wie abwechslungsreich die Releases sind. Von Pop-Rock-Einflüssen auf "Scherben" bis hin zu miesen Elektrovibes auf "Oh Mein Gott" – hier wird sehr viel sehr richtig gemacht.

Einzig und allein der Begriff "Newcomer" muss sehr dehnbar ausgelegt werden, damit der Gute in diese Liste passt. Souly veröffentlicht bereits seit einigen Jahren Musik. Trotzdem fühlt es sich so an, als könnte er 2023 noch mal einen ganz großen Schritt nach vorne machen und vollends einschlagen.

(Till Hesterbrink)

OTPendia

Die letzten Newcomer sind gleich wieder drei an der Zahl. Die junge Gruppe OTPendia besteht aus den Rappern OT, billa bazz und Cany75 und kommt aus der Stadt Dinslaken im Ruhrgebiet.

Ok, zugegeben: Ihr erster offizieller Song als Gruppe "Rasselbande" stieg Ende 2021 auf TikTok direkt zu einem viralen Hit auf. Der Track kann inzwischen knapp 17 Millionen Streams auf Spotify vermelden. Der Erfolg von "Rasselbande" ermöglichte ihnen einen Label-Deal mit Epic Records Germany.

Aber: Seitdem erschienen mit "20x", "Schnelle Brillen" und "Lucky Luke" nur drei Song. Letzterer erst Anfang 2023. Egal ob mit partytauglichem Atzen-Sound oder leicht emotionalen Tracks: OTPendia haben den Nerv der Zeit getroffen und wissen, wie man gute Laune verbreitet. Dabei sind sie sich auch für Seitenhiebe mit einem Augenzwinkern nicht zu schade:

"Du und deine Gang, ihr seht aus wie AFD-Wähler/ Treff ich ein’n von euch, dann geb ich ihm ein Gehfehler"

Die Songs "Schnelle Brillen" und "Lucky Luke" sind beide Liebesbekundungen an die Partykultur, aber auf ganz unterschiedliche Art und Weise. Während sie für "Schnelle Brillen" auf dem verschnellerten Beat von "Push the Feeling On" (aka "Hotel Room Service" von Pitbull) ebendiese Brillen feiern, ist "Lucky Luke" eine moderne Mischung aus House-Beat und Rap für die Kneipe. Das wird natürlich mit zahlreichen Cowboy- und Lucky Luke-Referenzen ausgeschmückt: Sie drehen Kippen schneller als ihr Schatten, reiten auf dem Ross ins Studio oder lassen die Dalton-Brüder frei. Für 2023 hat das Trio eine EP geplant.

(Michael Ebenger)

Hier könnt ihr euch die Newcomer des letzten Jahres anschauen:

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